Wine & Dine im Essigbrätlein – Gewürzküche **


Wine & Dine im Essigbrätlein – Gewürzküche, Nürnberg, 31. August 2012

Wenn ein Freund, den man seit über 40 Jahren kennt, Geburtstag hat und ins Essigbrätlein in Nürnberg einlädt, sollte man nicht nein sagen. Eine Freundschaft, die über 40 Jahre hält und das, obwohl man durch die Republik und die Welt gezogen ist, bedeutet schon etwas.  Und außerdem wurden Andree Köthe und Yves Ollech sicher nicht umsonst vom Gault Millau zum Koch des Jahres 2012 gewählt.

Also auf in die alte Heimat und zum Weinmarkt unterhalb der trutzigen Burg. Das Essigbrätlein residiert in einem mittelalterlichen Sandsteinhaus. Alles ist klein und überschaubar. Seit 500 Jahren wird hier professionell gekocht, geschlemmt und getrunken [1]. Essigbrätlein heißt das Restaurant vermutlich schon seit 1648. Seit 1989 kocht Andree Köthe hier und 1997 ist Yves Ollech hinzugekommen.

Appetithäppchen: Gelbe Tomate mit Nachtkerzenblüte und Amaranth,
Basilikumblatt mit Jogurthcreme und Eisbegonienblüte, 
Tomatillo mit Limettencreme und Broccoli, 
Mini-Kartoffel mit Wildsalbei
Aperitif: –
Wein: -, Speise: 94 (95, 97, 96, 89), Wein-Speise-Kombi: –
Die kleinen Amuse Geules waren ein wahres Feuerwerk an mild-würzigen und leicht säuerlich-frischem Aromen. Am schwächsten dabei die Mini-Kartoffeln mit Wildsalbei, einfach nur großartig die anderen drei.
Ich hätte gerne einen Manzanilla oder Fino dazu getrunken, leider nicht vorhanden. Schade, denn die hefig-nussigen, leicht salzigen Noten eines trockenen Sherrys hätten vermutlich hervorragend gepasst.

1. Gang: Bachforelle mit Fenchel
Wein: 2011 Gelber Muskateller, Neumeister, Steiermark
Wein: 85, Speise: 94, Wein-Speise-Kombi: 90
Die Forelle war mild, zart aber nicht weich. Zusammen mit den bissfesten, rohen Champignonscheiben ein geschmacklicher und taktiler Hochgenuss. Der Fenchel war zwar deutlich schmeckbar, aber nicht dominierend und ergänzte den milden Fisch hervorragend.
Der Gelbe Muskateller war ein typischer Vertreter seiner Art, kräftige Noten nach alten, englischen Rose und Muskat. Für meinen Geschmack schon etwas zu kräftig zu dem insgesamt milden Gericht, trotz der leichten Fenchel- und Champignon-Würze. Ein leichter Silvaner mit dezenter Kräuterwürzigkeit hätte meines Erachtens besser gepasst.

2. Gang: Bohnen mit Pistaziencreme
Wein: 2002 Chardonnay “S”, Wittmann, Rheinhessen
Wein: 92, Speise: 94, Wein-Speise-Kombi: 94
Erbsen und Erbsensprossen, eingelegte Dillblüten, Apfel und geschossener Lauch, wilder Spinat, Zwetschgen und Pistaziencreme. Eine Explosion von fruchtigen, nussigen und vegetabilen Aromen! Ungeheuer spannend und abwechslungsreich, mild und kräftig zugleich, je nachdem wo man die Gabel ansetzt. Wunderbar!
Der Chardonnay zeigt seine Reife durch eine dezente Bohnerwachsnote, das Holz ist gerade noch so spürbar, Herbstlaub, feine Apfel- und Honigmelonenanklänge, mit Luft treten immer deutlicher Kräuternoten auf (Kerbel, Pimpinelle), voll und lang mit anregendem Trinkfluss. Eine perfekte Kombination zu diesem Gang. Kräftig genug, um der Geschmacksexplosion der Speise Paroli bieten zu können, aber ohne sie zu überwältigen.

3. Gang: Rehmedaillon mit Rote Beete
Wein: 2008 Klingenberger Spätburgunder QbA, Fürst, Franken
Wein: 92, Speise: 97, Wein-Speise-Kombi: 96
Das auf Wacholderasche gegrillte Rehmedaillon zählt zum Besten, was ich je aus Reh genossen habe. Der sehr feine Wildgeschmack des butterzarten Fleisches wird durch die Wacholdernote noch prägnanter. Das Zitronenchutney und die Schnittlauchcreme bilden einen sauren und herben Kontrast zum Fleisch und verschmelzen beim Kauen zu einer überraschenden Einheit. Die roten Beete mit Kirschen hätten auch alleine gut als eigener Gang bestehen können. Auch hier der Spannungsbogen zwischen fruchtiger und vegetabiler Note und dann die überraschende Verschmelzung von Fleisch, Frucht und Gemüse. Inspirierend!
Zu Paul Fürsts Spätburgundern braucht man eigentlich gar nichts zu sagen. Wer sie kennt, weiß, dass sie für sich sprechen. Granatapfel- und dezente Brombeernoten, leicht pfeffrig-würzig, mittelgewichtig und mit einer gewissen Eleganz ist er das nahezu perfekte Lösungsmittel für die so unterschiedlichen und sich doch ergänzenden Aromen der Speise.

4. Gang: Grüne Tomaten mit Eisenkraut
Wein: Riesling Trockenbeerenauslese, Frey, Pfalz
Wein: 87, Speise: 92, Wein-Speise-Kombi: 90
Das ist sicher kein klassisches süßes Dessert, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht. Das ‘Eis’ ist eine Tomatencreme und was aussieht wie Apfel- oder Melonenstückchen ist grüne Tomate mit knusprigem Eisenkraut (Verbene) on top. Alles unaufdringlich gesüßt. Auch hier wieder ein Spannungsbogen von vegetabil-süßlich zur deutlichen Bitternote des Eisenkrauts.
Beim Wein dominiert in Zuckersirup eingelegte Ananas, ergänzt durch Quitte, getrocknete Aprikose und etwas Karamell. Pur zu süß für meinen Geschmack, passt aber erstaunlich gut sobald man ihn in Kombination mit dem bitteren Eisenkraut/süßlicher grüner Tomate trinkt.

Abschiedsgruß aus der Küche: Schokolade mit Sauerampfermarzipan,
Schokolade mit Blaubeere,
weiße Schokolade mit Kubebenpfeffer, Erdnüssen und Butterkaramell,
Schokolade mit Himbeeren,
Schokolade mit karamellisierten Macadamianüssen

Wein: Riesling Trockenbeerenauslese, Frey, Pfalz
Wein: 87, Speise: 90 (91, 89, 90, 88, 90), Wein-Speise-Kombi: 87
Was man doch alles mit Schokolade anstellen kann! Am besten hat mir die Kombination mit dem Sauerampfer-Marzipan geschmeckt. Schokolade-Sauerampfer-Marzipan, wirkt vom Geschmack her zunächst vertraut und beginnt dann ganz unterschwellig unvertraut an den Geschmacksknospen und in den Gehirnwindungen zu zerren. Ein wunderbar ‘heimtückisches’ Geschmackserlebnis!
Bei so viel unterschiedlichen Aromen, vom Sauerampfer über Blaubeeren zu Kubebenpfeffer und Macadamianüssen hatte es der Wein natürlich schwer. Zu der Macadamianüssen-Schokolade passte er sehr gut, zu den anderen war er immerhin noch gut. Das ist aber dem Essigbrätlein auf keinen Fall als negativ anzurechnen. Wir hätten ja zu jeder Schokolade einen eigenen Wein ordern können. Das war uns dann aber doch zu viel des Guten.

Fazit:
Wer offen ist für ungewöhnliche, überraschende Kombinationen, wer Kräuter in jeder Form mag, der ist hier goldrichtig. Jedes Gericht zeichnete sich durch einen Spannungsbogen aus, der traditionell und überraschend neu zugleich war. Eine Aromen- und Geschmacksvielfalt sondergleichen.
Beim Wein wünschte ich mir einen etwas größeren Horizont. Ein  trockener Fino oder Vin Jaune wären z.B. nicht schlecht und würden hervorragend zur Gewürzküche des Essigbrätleins passen.
Insgesamt kenne ich zurzeit in Deutschland keine kreativere Küche. Für mich auf Drei-Sterne-Niveau, wenngleich sie für eher konservative Gourmets sicher eine Herausforderung darstellt. Hinzu kommt die lockere und unprätentiöse Art des Service, die ich sehr schätze. Der Vorschlag die im Menu vorgesehene Taube – zählt nicht zu meinen Lieblingsgerichten – durch Reh zu ersetzen, war eine exzellente Idee.
Ein kleines Restaurant, aber ein großes Juwel am deutschen Gourmethimmel.

Text und Fotos: Joachim Kaiser