Rheingau wohin? Diskussionsrunde im Weingut Balthasar Ress


Rheingau wohin?

Ist der Rheingau wirklich das träge Schiff des deutschen Weinbaus? Konservativ und unbeweglich?

Eingeladen zur Diskussion hatten Dirk Würtz, Betriebsleiter beim Weingut Balthasar Ress und Christian Ress, der das operative Geschäft des Weingutes leitet. Hier sind meine Gedanken dazu.

Christian Ress kann man definitiv nicht als unbeweglich bezeichnen. Seine Entscheidung Dirk Würtz, einen der umtriebigsten und kreativsten Köpfe der deutschen Weinszene als Betriebsleiter zu verpflichten hat zu einer Revolution des Stils und zu einem deutlichen Qualitätssprung im Weingut B. Ress geführt.
Nirgendwo wird das so deutlich, wie bei dem 2011 Berg Rottland Riesling, der zunächst als Erstes Gewächs abgelehnt wurde. Ein eigenwilliger, steinig-mineralischer Wein, selbst die verhaltene Frucht erinnert an Steinobst, packend, fordernd, sehr klar, aber ohne jeglichen Charme und vor allem richtig trocken, auch nicht die Spur eines charmanten Zuckerschwänzchens. Der Wein hat sicher die Anlage zur Größe, aber man muss ihm Jahre, vielleicht Jahrzehnte Zeit geben um zu reifen. Im Augenblick macht der Wein nicht wirklich Spaß. Ich betrachte die hohen, ja sogar euphorischen Bewertungen einiger Verkoster als eine Option auf die Zukunft. Aber eines ist gewiss, so könnte die Rheingauer Spitze in Zukunft aussehen:
Charakterweine, durchgegoren trocken, lagern bis die Reife sie umgänglicher macht.

Den 2011 Rauenthaler Rothenberg Riesling trocken – Steillage vom Weingut August Eser, den Désirée Eser in die Runde einbrachte, übrigens nicht als Erstes Gewächs deklariert und preislich ein Schnäppchen, muss man als den stilistischen Gegenentwurf zum Rottland von Ress betrachten. Ebenfalls ein sehr mineralischer Wein, sogar mit einer sehr leichten petroligen Schiefernote, aber auch mit Fruchtanklängen an Karambole, Physalis und Kumquat. Dabei kein bisschen unnahbar oder schroff, sondern sehr charmant  und bereits jetzt hervorragend zu trinken. Man schmeckt, dass der Wein nicht wirklich trocken ist, der Restzucker liegt aber nicht im obersten zulässigen Bereich. Man hat auch nicht den Eindruck, der Restzucker würde irgendetwas zudecken, der Wein wirkt wunderbar klar. Sicher würde ihn weniger Restzucker noch prägnanter erscheinen lassen, aber eben auch weniger charmant. Auch so könnte die Rheingauer Zukunft ebenfalls aussehen:
Charakterweine, moderater Restzuckergehalt und deshalb sofort mit Genuss trinkbar.

Interessant waren auch die Weine von Lamm-Jung, Hans Bausch, Gerster-Wagner und insbesondere von Stefan Bieber. Der Rheingau verfügt nicht nur über ein exzellentes Lagenpotential, sondern auch über ein exzellentes menschliches Potential. Über Leitz, Kühn, Breuer, Künstler, Weil und einige andere brauchen wir gar nicht erst zu reden. Es ist nicht so, dass sich im Rheingau gar nichts bewegen würde, aber der Impetus der Rührigen reicht nicht aus das schwere Schiff Rheingau wirklich in anderes Fahrwasser zu manövrieren.

Es sind die großen Güter, die Schloss- und Klosterweingüter, die das eigentliche, das historisch gewachsene Herz des Rheingaus ausmachen. Sie haben das Ansehen des Rheingaus bestimmt und auch heute noch ist es deren Masse, die das Schiff Rheingau so träge und unbeweglich macht. Sie verfügen über den größten Anteil einzigartiger, renommierter Lagen, zum Teil sogar als Monopollagen und machen so oft so wenig daraus. Alle produzieren natürlich Erste Gewächse bzw. Große Gewächse, die das Bild von ‘Spitzenweinen’ des Rheingaus im In- und Ausland prägen. Das sind keine schlechten Weine, aber meist sehr deutlich unter dem potentiellen Niveau ihrer Lagen, oftmals bieder, ohne Inspiration, uninteressant. Dabei gab es bereits in den 90ern einen hoffnungsvollen Anlauf, als Dr. Hepp die Staatsweingüter leitete. Der Qualitätssprung war bei einigen Weinen mehr als deutlich. Leider musste er vor bürokratischen Hindernissen kapitulieren. Hin und wieder taucht das eine oder andere Schloss- bzw. Klostergut mit einem hervorragenden oder interessanten Wein aus der Versenkung auf, um bald darauf wieder sang- und klanglos abzutauchen. In den letzten zwei Jahren ist beim Schloss Johannisberg ein klarer Aufwärtstrend zu spüren. Sogar die einfacheren Weine im Gutsausschank kann man heute mit Spaß trinken. Bleibt zu hoffen, dass das erst der Anfang einer allgemeinen Entwicklung ist.

Es ist jedoch nicht nur die Qualität an der vermeintlichen Spitze, die problematisch ist. Der Rheingau hat kein klares Profil nach außen hin. Um außerhalb wahrgenommen zu werden, wird eine eindeutige Identität benötigt:
Was bin ich und was bin ich nicht?
Womit identifiziere ich mich, was macht mich authentisch und wie grenze ich mich im positiven Sinne von anderen Weinbaugebieten im In- und Ausland ab?
Wie möchte ich wahrgenommen werden?

Im Inland spielt mit Sicherheit der Lokalpatriotismus eine wichtige Rolle. Umgeben von einer kaufkräftigen, industrialisierten Städteregion hat der Rheingau in der Regel keine Absatzschwierigkeiten. Das ist kaufmännisch gut, aber nicht motivierend sich weiter zu entwickeln. Auch die Drosselgassenromantik des nationalen und internationalen Tourismus ist eher auf viel und billig ausgerichtet. Auch hier ist kein Motivationsschub zu erwarten. Der Schub nach vorne muss gewollt sein und er muss, wie oben erläutert, von der ‘Spitze’ kommen. Der Rheingau verfügt über eine berühmte Vergangenheit, an die sich anknüpfen lässt. Deutsche Weine, mit dem Rheingau an exponierter Stelle, waren bis in die 30er Jahre fester Bestandteil eines jeden Dinners des Nobelpreiskomitees, keine Tafel eines gekrönten Hauptes in Europa ohne Rhine Wine. Das waren nicht nur süße Weine, unvergleichliche Trockenbeerenauslesen, das waren auch trockene Rieslingsekte. Die Barbarei der Nazis hat dies schlagartig verändert.

Ich war und bin oft im Ausland. Rede ich dort mit Nicht-Fachleute über deutschen Wein, dann reden wir über Riesling. Und wenn sie überhaupt eine deutsche Weinbau Region namentlich kennen, dann ist es die Mosel.
Nach den Skandalen der 80er zogen eine Reihe von Top-Erzeugern an der Mosel weitgehend  an einem Strang. Auch wenn es tatsächlich richtig trockene Moselweine gibt, wahrgenommen wird: Rhine (sic) Riesling from Mosel (sic) is sweet. Da spielt es keine Rolle, ob trocken/dry draufsteht, weil eben der Restzucker deutlich schmeckbar ist, oder ob es sich tatsächlich um einen feinherben Kabinett oder einen süßen Eiswein handelt. Möchte ich keine süße Pampe à la Liebfrauenmilch, sondern einen hochwertigen deutschen Wein, frisch mit einer harmonischen Süße-Säure-Balance: It has to be Mosel, and Dr. Loosen is the king.

Im Gegensatz zur Mosel verfügt der Rheingau über kein klares Identitätsprofil nach außen und über keinen Repräsentanten vom Bekanntheitsgrad Ernie Loosens. Bernhard Breuer war ein derartiger Repräsentant, aber auch er hat letztendlich den Bettel hingeschmissen, weil das unbewegliche Schiff Rheingau ihm nicht folgen wollte.

Welche Konsequenzen sehe ich für den Rheingau:

  1. Auf die Spitze kommt es an: Solange die Großen Güter nicht den Willen zur absoluten Spitzenqualität haben, solange sie halbwegs zufrieden mit den Verkaufszahlen sind, wird sich nichts ändern.
  2. Die Rheingauer Spitze muss an einem Strang ziehen, was Qualitätsziele und Selbstdarstellung nach außen betrifft und die Großen müssen dabei sein.
  3. Die Rheingauer Spitze muss sich eindeutig positionieren: Ohne eine klare Identität und ohne ein klares Profil geht nichts. Weine aus dem Rheingau müssen als authentisch wahrgenommen werden.
  4. Das Feld hochwertiger deutscher Riesling mit harmonische Süße ist durch die Mosel besetzt. Ob nun durchgegoren trocken oder Rheingau dry, der Rheingau muss sich als die Weinbauregion des trockenen deutschen Weißweins präsentieren: Dry red – Bordeaux, Dry white – Rheingau muss das Ziel sein.
  5. Die Rheingauer Spitze muss als tatsächliches High-End der Weißweinwelt wahrgenommen werden. Der Rheingau braucht zumindest ein international überragendes Leuchtfeuer: Wo ist der G-Max des Rheingaus?
Text und Fotos: Joachim A. J. Kaiser